bist du etwa ein mädchen?

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Samstag, 29. November 2014

schießen spielen

zeit zu spielen? foto von rosava, cc-by-nc-sa, gefunden auf: flickr.com

auch an meinem großen jungen-identifizierten kind geht die normalisierte lust am schießen-spielen nicht vorbei. es fing an mit wasserspritzpistolen, die wir durch wasserpumpen zu entschärfen suchten. rückblickend gehört wohl auch das katapult, das wir bauten, um damit schaumstoffbälle auf blechdosen zu katapultieren (das scheppert) dazu. ich hatte gehofft, das wäre der rahmen, indem die lust am kämpfen, krachmachen und dinge kaputt machen kanalisiert werden könnte. dennoch kam der tag, an dem mein kind plötzlich präzise figuren, handlungen und hintergründe von 'star wars - clone wars' (genannt klummboss) nacherzählen konnte: ergebnis tagelanger fachkonferenzen und workshops im kindergarten, durchgeführt von kindern mit intensiven recherche-erfahrungen, die sie samstags vormittags auf privatfernsehsendern durchgeführt hatten. (nein, ich mache hier bestimmt kein elternbashing...) schießende finger und große fragende augen, die sich im supermarkt nichts sehnlicher wünschen, als die mitten auf dem gang entdeckte plaste-fake-kanone im kartonschieber kaufen zu dürfen erscheinen im rückblick unvermeidlich. außer natürlich, ich wäre meinen mutterpflichten nachgekommen und hätte meine kinder in einem zuhause ohne fernseher und ohne zugang zu anderen kindern (und sonstigen politisch unkorrekten menschen) behütet. sandburgen bauen auf dem spielplatz? zu gefährlich, unter den anderen besucher_innen könnte ja ein kindergartenkind sein. ok, beseite mit dem hysterischen sarkasmus. wenn ich es schon nicht vermeiden kann, kann ich es schlechterdings auch nicht ignorieren. wie also reagieren?

wie soll ich meinem sechs-jährigen lütten verständlich machen, was es bedeutet, eine waffe zu tragen und leben zu nehmen? wie soll ich altersgerecht aufarbeiten, wie tagtäglich global gelitten wird und wie kampf, folter, tod dazugehören? wie kann ich meinem kind vermitteln, was es für die betroffenen menschen und ihre umgebung bedeutet, ein_e kindersoldat_in zu sein? warum ich das gesicht verziehe und ernst werde, wenn schießen-spielen wieder losgeht. warum ich den kauf einer plastewaffe nicht unterstütze (mal abgesehen von dem plaste als stoff an sich)

das thema ist so unglaublich komplex. eine dimension davon, die in weißen, westlichen und vor allem: in gut-bürgerlichen, eher wohlhabenden kreisen meistens ignoriert wird, ist die klassen-dimension, die das phänomen der kindersoldat_innen prägt.

auf der konferenz zur (ungerechtfertigten und unklugen unterrepräsentanz) von frauen in globalen friedensverhandlungen, die ich kürzlich besuchte, sprachen die eingeladenenen referentinnen sehr ausführlich über die bedingungen, unter denen von den kriegerischen zuständen betroffene zivilist_innen in syrien und irak durchhalten und um ihr überleben kämpfen. auch dort werden minderjährige als soldat_innen rekrutiert. was das bedeutet, kann in einem, einen differenzierten eindruck machenden artikel auf wikipedia nachgelesen werden. was rekrutierende organisationen, wie bspw. ISIS bieten, ist enorm: soziale absicherung, anerkennung, macht. so auch im irak, berichtet etwa eine referentin,wo mädchen in clan-gesellschaften unter 18 jahren verheiratet werden, obwohl das laut staatlicher gesetzgebung illegal ist. die folge: ihre ehen werden vor gesetz nicht anerkannt, die kinder dieser verbindungen werden nicht anerkannt, sie haben keine papiere und daher keinen zugang zu bildung, gesundheitssystem und anderen sozialen leistungen. eine nachträgliche legitimierung und soziale absicherung durch papiere ist den frauen und kindern aus einem mangel an entscheidungsfreiheit, reisefreiheit und geld meist nicht möglich. und vielleicht ist das auch gar nicht gewollt. kommt nun eine organisation, zumal eine so gut finanziell aufgestellte, durchstrukturierte und ehrgeizige wie ISIS in die regionen der clans, haben sie oft leichtes spiel: kinder und junge erwachsene, die bisher kaum eine chance auf eine gute zukunft für sich gesehen haben, bekommen die möglichkeit einer ausbildung, einer sozialen infrastruktur, eines regelmäßigen gehalts und idellen rückhalt, sowie individuelle anerkennung. etwas wert zu sein ist viel wert.

auch mein kind möchte anerkannt werden.

neulich bei oma und opa auf dem hof: ein schraubstock, eine abgesägte dachlatte, sechs nägel und ein hammer: ein viertel stunde hämmern und der große präsentierte sein gewähr mit vorsichtigem stolz: 'nicht gleich schimpfen, aber... das ist mein gewehr und da kann man rausschießen und da und da und hier und hier hinten und hier kann man auch rausschießen. aber keine angst, mama, wenn ich mit diesem gewehr auf dich schieße, dann bedeutet das, du bist in meinem team.

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